Icon Werkstatt für Kollegiale Führung
Werkstatt für kollegiale Führung
Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen
Über den Beitrag
Verfassende Person
Picture of Bernd Oestereich

Bernd Oestereich

Impulsgeber für kollegial geführte Organi­sationen mit Erfahrung als Unternehmer seit 1998. Sprecher und Autor inter­national verlegter Bücher.
Schlagwörter

Tram­pel­pfa­de, die die Rea­li­tät in einer Orga­ni­sa­ti­on bestim­men

Ein inter­es­san­tes Phä­no­men von Unter­neh­men ist es, dass bestimm­te kul­tu­rel­le Eigen­hei­ten des sozia­len Sys­tems erstaun­lich sta­bil blei­ben, selbst wenn im Lau­fe der Zeit immer wie­der Mit­ar­bei­ter wech­seln und auch unab­hän­gig davon, wel­che Mit­ar­bei­ter ein­ge­stellt wer­den.

Die­ser Bei­trag erklärt aus sys­tem­theo­re­ti­scher Sicht, wie es dazu kom­men kann und was eigent­lich ein sozia­les Sys­tem aus die­ser Per­spek­ti­ve ist.

Einer der bedeu­tends­ten Sys­tem­theo­re­ti­ker war der 1998 ver­stor­be­ne Niklas Luh­mann aus Lüne­burg. Aus sei­ner Sicht sind die ele­men­ta­ren Ein­hei­ten einer Orga­ni­sa­ti­on Kom­mu­ni­ka­tio­nen. Dass ein sozia­les Sys­tem nicht aus Din­gen, Abtei­lun­gen oder Per­so­nen, son­dern aus Ope­ra­tio­nen besteht, ist etwas gewöh­nungs­be­dürf­tig, umschifft aber ele­gant die Abgrün­de der Psy­che. Luh­mann betrach­tet nicht das Den­ken und Füh­len der Akteu­re, son­dern die Kom­mu­ni­ka­ti­on.

Über die Psy­che spe­ku­lie­ren?

Die Men­schen mit ihren Gefüh­len aus der Betrach­tung aus­zu­klam­mern, klingt zunächst etwas kühl und unmensch­lich und hat Niklas Luh­mann eini­ge Kri­ti­ker ein­ge­bracht.

Ande­rer­seits ist die­se Theo­rie unge­mein mensch­lich, denn sie respek­tiert die Ein­sicht, wie sinn­los es für die Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung ist,

  • Men­schen ver­än­dern oder mani­pu­lie­ren zu wol­len,
  • Appel­le oder Anwei­sun­gen mit dem Ziel von Ver­hal­tens­än­de­rung zu ver­tei­len oder
  • den Schul­di­gen oder Ver­ant­wort­li­chen für ein Gesche­hen zu suchen.

Beob­acht­ba­res Ver­hal­ten

Was in den ein­zel­nen Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­dern pas­siert, ist von außen kaum zu fas­sen. Das Ver­hal­ten und die (ver­ba­len und nicht­ver­ba­len) Kom­mu­ni­ka­tio­nen der Men­schen sind jedoch beob­acht­bar, wer­den bezeich­net, bewer­tet und ihnen wird Sinn zuge­schrie­ben, was wie­der­um zu neu­en anschlie­ßen­den Kom­mu­ni­ka­tio­nen und Hand­lun­gen (Ver­hal­ten) führt.

Aus sys­tem­theo­re­ti­scher Sicht bil­det der Strom von Kom­mu­ni­ka­tio­nen das sozia­le Sys­tem und nicht deren Mit­glie­der, die als so genann­te rele­van­te Umwel­ten bezeich­net wer­den.

Für die Rea­li­tät inner­halb einer Orga­ni­sa­ti­on bedeu­tet dies, dass im sozia­len Sys­tem nur exis­tent wird und Rea­li­tät erlangt, was in die Kom­mu­ni­ka­ti­on ihrer Mit­glie­der gelangt. Was in der Psy­che des Ein­zel­nen abläuft, bleibt in der sys­te­mi­schen Orga­ni­sa­ti­ons­theo­rie des­we­gen unbe­ach­tet.

Orga­ni­sa­tio­nen repro­du­zie­ren sich

Orga­ni­sa­tio­nen sind bemer­kens­wert sta­bil gegen­über dem Aus­tausch von Per­so­nen. Unter­neh­men mit hoher Per­so­nal­fluk­tua­ti­on, ob beab­sich­tigt oder unfrei­wil­lig, blei­ben trotz­dem als Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur erstaun­lich sta­bil. Es gibt Unter­neh­men, die wer­den deut­lich älter als Men­schen und über­le­ben auch ihre Grün­de­rin­nen, deren Geist den­noch oft spür­bar bleibt.

Die­se Sta­bi­li­tät bezieht eine Orga­ni­sa­ti­on aus den vor­han­de­nen und sta­bil blei­ben­den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mus­tern und –struk­tu­ren. Die Mit­glie­der einer Orga­ni­sa­ti­on ler­nen deren Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Bezie­hungs­mus­ter. Wenn bestimm­te Hand­lungs­mus­ter wie­der­keh­ren, prägt dies die Orga­ni­sa­ti­on.

Wird bei­spiels­wei­se ein regel­mä­ßi­ges Arbeits­tref­fen immer genau erst dann ange­fan­gen, wenn alle Teil­neh­mer Platz genom­men haben, wird die­ses Mus­ter ver­mut­lich auch dann wei­ter prak­ti­ziert, wenn ein neu­er Kol­le­ge dazu kommt, der etwas ande­res gewohnt ist.

Erwar­tungs­struk­tu­ren

Noch stär­ker prä­gend sind die so genann­ten Erwar­tungs­struk­tu­ren, also sozi­al aus­ge­han­del­te und gemein­sam ver­ein­bar­te Rol­len und Regeln. Damit sind nicht allei­ne die offi­zi­el­len Rol­len, Berichts­we­ge und Regeln gemeint, son­dern die, deren prak­ti­sche Wirk­sam­keit die Mit­glie­der einer Orga­ni­sa­ti­on erwar­ten. Also gera­de auch die infor­mel­len Rol­len und Regeln.

Die Kom­mu­ni­ka­tio­nen und Hand­lun­gen, für die es vor­han­de­ne Erwar­tungs­struk­tu­ren gibt, erhal­ten mehr Auf­merk­sam­keit als ande­re Kom­mu­ni­ka­tio­nen.

Quel­le: http://kollegiale-fuehrung.de/portfolio-item/definition-soziales-system/

Um das Modell in der Abbil­dung in ein­fa­cher Wei­se zu ver­ste­hen, stel­len Sie sich eine Blu­men­wie­se vor:

  • Wege, die Sie das ers­te Mal gehen, hin­ter­las­sen einen kaum zu erken­nen­den Tram­pel­pfad. Dies ist der äuße­re Ring in der Abbil­dung.
  • Wege die öfter gegan­gen wer­den, bil­den einen deut­lich sicht­ba­ren Tram­pel­pfad. Dies soll der mitt­le­re Ring dar­stel­len. Weil sie ein­fa­cher zu erken­nen sind, wer­den die­se Pfa­de noch öfter benutzt und mit der Zeit somit immer stär­ker. Wird ein Pfad län­ge­re Zeit nicht mehr benutzt, kann er aber auch wie­der zuwu­chern.
  • Der inne­re Kreis reprä­sen­tiert die befes­tig­ten, beschil­der­ten und benann­ten Wege.

Die Mit­glie­der einer Orga­ni­sa­ti­on wech­seln ste­tig. Neue Kol­le­gin­nen kom­men, ande­re ver­las­sen das Sys­tem. Die Tram­pel­pfa­de und Wege aber blei­ben sicht­bar und wirk­sam – auch die Neu­en benut­zen Sie auto­ma­tisch.

Dieser Beitrag steht unter der Lizenz Creative Commons „Namensnennung 4.0“. Sie dürfen diesen Beitrag gerne für Ihre eigenen Zwecke verwenden, auch in einem kommerziellen Kontext, auch im Wettbewerb zu uns, solange Sie die oben genannte verfassende Person sowie die Bezugsquelle "Werkstatt für Kollegiale Führung  (https://kollegiale-fuehrung.de/)" nennen.