Icon Werkstatt für Kollegiale Führung
Werkstatt für kollegiale Führung
Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen
Über den Beitrag
Verfassende Person
Picture of Bernd Oestereich

Bernd Oestereich

Impulsgeber für kollegial geführte Organi­sationen mit Erfahrung als Unternehmer seit 1998. Sprecher und Autor inter­national verlegter Bücher.
Schlagwörter

Zir­ku­lä­re Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung – weil sich Organsia­tio­nen gar nicht gezielt und vor­her­seh­bar ändern las­sen

Weder Men­schen noch Orga­ni­sa­tio­nen sind Maschi­nen die sich kau­sal steu­ern las­sen. Es gibt kei­ne nutz­ba­ren ein­deu­ti­gen Ursa­che-Wir­kungs-Zusam­men­hän­ge. Und des­we­gen las­sen sich Organsia­tio­nen gar nicht gezielt und vor­her­seh­bar ändern. Genau das wün­schen wir uns aber und vie­le Füh­rungs­kräf­te wer­den sogar mit Ziel­ver­ein­ba­run­gen kon­fron­tiert, die die­ses Wun­der vor­aus­set­zen.

Wie also kann man eine Orga­ni­sa­ti­on trotz­dem ändern? Dies erklärt der fol­gen­de Bei­trag.

Tram­pel­pfa­de

In einem vori­gen Blog-Bei­trag mit dem Titel Tram­pel­pfa­de, die die Rea­li­tät in einer Orga­ni­sa­ti­on bestim­men hat­te ich die Kom­mu­ni­ka­ti­on in Unter­neh­men mit Tram­pel­pfa­den auf einer Blu­men­wie­se ver­gli­chen: Die Mit­glie­der einer Orga­ni­sa­ti­on wech­seln ste­tig. Neue Kol­le­gin­nen kom­men, ande­re ver­las­sen das Sys­tem. Die kom­mu­ni­ka­ti­ven Tram­pel­pfa­de und Wege aber blei­ben sicht­bar und wirk­sam – auch die Neu­en benut­zen Sie auto­ma­tisch. Des­we­gen sind Orga­ni­sa­tio­nen so erstaun­lich sta­bil gegen­über dem Aus­tausch von Mit­ar­bei­tern.

Die­se Meta­pher möch­te ich für die­sen Bei­trag wei­ter nut­zen: Sie kön­nen in einem Unter­neh­men neue befes­tig­te Wege bau­en und Weg­wei­ser auf­stel­len, also die offi­zi­el­len Pro­zes­se und Struk­tu­ren ver­än­dern, und den­noch kann es pas­sie­ren, dass die Mit­ar­bei­ter wei­ter­hin quer­feld­ein gehen, neue Abkür­zun­gen neh­men oder einen gro­ßen Bogen dar­um machen.

Bestehen­de Wege und Tram­pel­pfa­de unbe­nutz­bar zu machen, wäre eine stär­ke­re Inter­ven­ti­on. Wenn Sie bei­spiels­wei­se bestimm­te Rol­len oder Pro­zes­se ein­fach abschaf­fen, dann pro­vo­zie­ren Sie eine Ver­än­de­rung. Sie kön­nen bloß nicht sicher vor­her­sa­gen, in wel­cher Wei­se sich die Kom­mu­ni­ka­ti­on und damit die Kul­tur in Ihrem Unter­neh­men ändert. Men­schen sind eben kom­ple­xe Wesen mit eige­nen Ideen, Ängs­ten, Prä­fe­ren­zen, Bedürf­nis­sen usw., was zu sehr indi­vi­du­el­len und kaum vor­her­seh­ba­ren Ver­hal­ten führt.

Was dann?

Kom­ple­xe Sys­te­me wie Orga­ni­sa­tio­nen las­sen sich am bes­ten evo­lu­tio­när ent­wi­ckeln. Also nicht über (lang­fris­ti­ge) Plä­ne, son­dern über das bio­lo­gi­sche Prin­zip von Viel­falt, Selek­ti­on und Erhal­tung.

Die Evo­lu­ti­on ist hier unser Vor­bild: vie­le klei­ne Schrit­te und Ände­run­gen, die unmit­tel­bar ihren Nut­zen bewei­sen müs­sen und dann ent­we­der wie­der ver­schwin­den oder sich bewäh­ren und erhal­ten blei­ben. Die Natur fragt dabei nicht, ob eine Eigen­schaft in der Zukunft ein­mal nütz­lich sein könn­te, sie guckt nicht vor­aus. Es gilt aus­schließ­lich die Gegen­wart. Alle Lösun­gen müs­sen für den Augen­blick brauch­bar sein.

mdl_mechanistische-vs-empirische-organisationsentwicklung

Varia­ti­on (kon­kur­rie­ren­de Viel­falt)

In der Natur ent­ste­hen kon­ti­nu­ier­lich neue Ideen und Vari­an­ten. Die Natur plant nicht, sie pro­biert ein­fach immer wie­der Neu­es aus. Die meis­ten neu­en Ideen set­zen sich nicht durch, sie schei­tern. Nur man­che der Ideen, die sich durch­set­zen, haben gro­ße Wir­kun­gen. Ob eine Idee sich durch­setzt, hängt auch von ihrer unmit­tel­ba­ren Umge­bung ab, wie freund­lich oder feind­lich die­se ist. Des­we­gen kön­nen Schutz­räu­me hel­fen. Die Natur erprobt dabei vie­le kon­kur­rie­ren­de Ideen gleich­zei­tig – uns Men­schen fällt dies schwe­rer, weil wir effi­zi­ent sein und vor­her­se­hen wol­len, wel­che Idee denn die bes­te Inves­ti­ti­on ist.

Restrik­ti­on (Res­sour­cen wür­di­gen)

Die Natur ver­än­dert aber auch nur so viel, dass das Schei­tern ver­kraft­bar ist. Sie pro­biert Ver­än­de­run­gen in einem Rah­men und einer Grö­ßen­ord­nung aus, dass sie Nie­der­la­gen über­ste­hen kann. Für Men­schen und Orga­ni­sa­tio­nen bedeu­tet dies, sie soll­ten ihren leist­ba­ren Ver­lust ken­nen (jeder Art, nicht nur finan­zi­ell). Maß­geb­lich ist bei die­sem Prin­zip nicht die erwar­te­te Ren­di­te oder Erfolgs­pro­gno­se, son­dern ledig­lich, ob die wei­te­re Exis­tenz gefähr­det ist. Um den leist­ba­ren Ver­lust zu bestim­men, muss man sei­ne Mög­lich­kei­ten und Res­sour­cen ken­nen bzw. je bes­ser man die­se kennt und des­to mehr Res­sour­cen man ent­deckt, des­to mehr Ver­lust kann man sich leis­ten. Sie­he hier­zu auch das The­ma Effec­tua­ti­on.

Anti­zi­pa­ti­on (vor­be­rei­tet sein)

Zu erken­nen, wie viel man wagen kann, ohne mit dem Schei­tern der ein­zel­nen Idee die Orga­ni­sa­ti­on ins­ge­samt zu gefähr­den, ist bereits ein Teil der Vor­be­rei­tung. Zusätz­lich kön­nen wir ver­su­chen, uns auf den Ein­tritt mög­li­cher Sze­na­ri­en vor­zu­be­rei­ten. Wir kön­nen nicht vor­her­se­hen, wie sich etwas ent­wi­ckelt. Wir kön­nen uns jedoch vor­be­rei­ten und mög­li­che Zukünf­te anti­zi­pie­ren. Das gilt nicht nur für den Fall des Schei­terns: Was wol­len wir tun, wenn die Idee (im Klei­nen) funk­tio­niert? Was pas­siert, wenn ande­re Anbie­ter uns zuvor­kom­men, nach­zie­hen oder etwas Ähn­li­ches erfin­den? Wie kön­nen wir damit umge­hen, wenn sich rele­van­te Rah­men­be­din­gun­gen (Geset­ze, tech­ni­sche Mög­lich­kei­ten, glo­ba­le Kri­sen etc.) ändern?

Selek­ti­on (Schei­tern erken­nen)

Die Ideen wer­den schnell prak­tisch erprobt. Erfolg und Nie­der­la­ge müs­sen unter­schie­den wer­den kön­nen. Was kann aus dem Gesche­he­nen gelernt wer­den? Eine Orga­ni­sa­ti­on braucht schnel­le Rück­mel­dun­gen. Die Her­aus­for­de­rung für Men­schen besteht dar­in, Ver­lus­te und Schei­tern anzu­er­ken­nen und Frie­den mit ihnen zu schlie­ßen. Wir müs­sen bereit sein, Din­ge auf­zu­ge­ben, die nichts mehr brin­gen. Unser Gehirn ist so gebaut, dass es Schmer­zen zu ver­mei­den sucht und des­we­gen nei­gen wir dazu, Nie­der­la­gen nicht anzu­er­ken­nen, uns die Welt schön­zu­re­den und sogar trot­zig wei­te­re Risi­ken ein­zu­ge­hen, die wir ande­ren­falls nie akzep­tiert hät­ten.

Erhal­tung (wei­ter ver­brei­ten)

Wenn sich etwas bewährt hat, wird es bei­be­hal­ten, wei­ter­ent­wi­ckelt, ggf. wei­ter ver­teilt und der Kreis­lauf beginnt von vor­ne.

Zir­ku­lä­re Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung

Ein grund­le­gen­der Unter­schied zwi­schen einer eher mecha­nis­tisch gepräg­ten und einer agi­len und zir­ku­lä­ren Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung besteht dar­in, zu wel­chem Zeit­punkt eine Ver­än­de­rung ein­ge­führt und prak­ti­ziert wird und wann über die­se Ver­än­de­rung ent­schie­den wird.

 

Mechanistische vs Empirische OE-CCL

In dem einen Fall (obe­re Teil in der fol­gen­den Abbil­dung) wer­den auf Basis von fest­ge­leg­ten Ver­än­de­rungs­zie­len die mög­li­chen Optio­nen aus­ge­wählt und damit eine Ent­schei­dung über not­wen­di­ge Ver­än­de­run­gen getrof­fen. Die­se wer­den dann umge­setzt. Es wer­den also bestimm­te Ursa­che-Wir­kungs­zu­sam­men­hän­ge (Kau­sa­li­tä­ten) erwar­tet und unter­stellt.

Im ande­ren Fall (unte­re Teil in der fol­gen­den Abbil­dung) wer­den kei­ne Ver­än­de­rungs­zie­le fest­ge­legt, son­dern ange­streb­te Wer­te und Prin­zi­pi­en geklärt. Dann wer­den (eine oder meh­re­re von­ein­an­der weit­ge­hend unab­hän­gi­ge) Ver­än­de­run­gen ein­fach mal aus­pro­biert. Aus­pro­bie­ren heißt hier, die Ent­schei­dung ist umkehr­bar und (zeit­lich, räum­lich, orga­ni­sa­to­risch) begrenzt. Es ist ein Expe­ri­ment.

Anschlie­ßend wird beob­ach­tet, wer­den The­sen auf­ge­stellt und wird bewer­tet, wel­che Ver­än­de­run­gen bewirkt wur­den und wel­cher Nut­zen dar­in gese­hen wird. Erst dann wird auf die­ser Basis ent­schie­den, ob die erprob­ten Ver­än­de­run­gen bei­be­hal­ten, wei­ter aus­ge­baut und ent­wi­ckelt und ggf. wei­ter ver­teilt und aus­ge­dehnt wer­den sol­len.

Dieser Beitrag steht unter der Lizenz Creative Commons „Namensnennung 4.0“. Sie dürfen diesen Beitrag gerne für Ihre eigenen Zwecke verwenden, auch in einem kommerziellen Kontext, auch im Wettbewerb zu uns, solange Sie die oben genannte verfassende Person sowie die Bezugsquelle "Werkstatt für Kollegiale Führung  (https://kollegiale-fuehrung.de/)" nennen.