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Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen
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Bernd Oestereich Claudia Schröder

Claudia Schröder und Bernd Oestereich verstehen sich als Unternehmerinnen und Pionierinnen für kollegial geführte Organisationen, die nach Erfahrungen in eigenen Unternehmen viele andere Unternehmerinnen und Unternehmer mit ihrem Wissen inspirieren konnten.
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Blog­se­rie Bau­stei­ne agi­ler OE (Teil 1): Die pro­fes­sio­nel­le sys­te­misch-inte­gra­le Hal­tung

Was sind eigent­lich die wich­tigs­ten Prozess‑, Struk­tur- und Hal­tungs­ele­men­te kol­le­gia­ler und agi­ler Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung? Die sechs aus unse­rer Sicht wich­tigs­ten Bau­stei­ne möch­ten wir in der hier star­ten­den Blog­se­rie benen­nen. In die­sem ers­ten Teil star­ten wir mit der pro­fes­sio­nel­len sys­te­misch-inte­gra­le Hal­tung der exter­nen Orga­ni­sa­ti­ons­be­glei­te­rin­nen.

Was ist eine Hal­tung?

Für uns ist eine Hal­tung ein grund­le­gen­der aus Wer­ten, Ein­sich­ten, Denk- und Gefühls­mus­tern bestehen­der inne­rer Hal­te­punkt zu einer Ange­le­gen­heit, der unser Ver­hal­ten lei­tet. Eine Hal­tung ist also nicht allein eine Über­zeu­gung oder eine Ein­stel­lung – sie wird im indi­vi­du­el­len Lebens­voll­zug auch beob­acht­bar, also in den Hand­lun­gen, Ziel­set­zun­gen, Aus­sa­gen und Urtei­len eines Men­schen.

Eine Hal­tung ist eine Brü­cke zwi­schen ver­in­ner­lich­ter Theo­rie und Gefühls­mus­tern zur Pra­xis und zum Kön­nen. Hal­tun­gen sind erlern­bar und im beruf­li­chen Kon­text damit auch Teil der pro­fes­sio­nel­len Per­sön­lich­keits­bil­dung.

Die Bezie­hung zum Kun­den im Kon­text einer pro­fes­sio­nel­len Hal­tung

Die Auf­trag­ge­be­rin und die Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der ver­fü­gen i.d.R. noch nicht über die gewünsch­te Hal­tung, sonst bräuch­ten sie unse­re Unter­stüt­zung als Pro­zess­be­glei­te­rin nicht. Eine neue Hal­tung ist also das Ergeb­nis, nicht die Vor­aus­set­zung für eine agi­le Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung. Die Auf­trag­ge­be­rin und ihre Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der ver­fü­gen viel­leicht über Wis­sen zu agi­len und kol­le­gia­len Wer­ten und mög­li­cher­wei­se auch über ein­zel­ne Erfah­run­gen. Eine Hal­tung, in dem Sin­ne, dass bestimm­te Wer­te, Ein­sich­ten, Denk- und Gefühls­mus­ter den Betei­lig­ten Halt geben und sicher und belast­bar hand­lungs­lei­tend sind, haben sie meist noch nicht.

Unse­re Auf­ga­be als exter­ne Beglei­te­rin­nen besteht vor allem dar­in, bestimm­te Hal­tun­gen im rea­len Orga­ni­sa­ti­ons­kon­text übbar (trai­nier­bar) zu machen und mit gro­ßer Klar­heit zu demons­trie­ren. Die tra­dier­ten Wer­te in einer Orga­ni­sa­ti­on wer­den dabei immer wie­der in einem Span­nungs­feld zu denen einer agi­len Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung ste­hen. Eben­so wird es im Adap­ti­ons­pro­zess immer wie­der zu Rück­grif­fen auf alte Hand­lungs­mus­ter kom­men. Als Bera­te­rin müs­sen wir die­se Unter­schie­de und die begin­nen­den Ver­än­de­run­gen iden­ti­fi­zie­ren und für die Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der deut­lich wahr­nehm­bar machen.

Um dies als Bera­te­rin leis­ten zu kön­nen, reicht eine Pro­zess­kom­pe­tenz allein nicht aus – wir benö­ti­gen belast­ba­res fach­li­ches Erfah­rungs­wis­sen über agi­le Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung, um aus die­sem her­aus Unter­schie­de und Ent­wick­lun­gen spür­bar mar­kie­ren zu kön­nen.

Um wel­che Hal­tun­gen geht es kon­kret?

Im Fol­gen­den benen­nen wir aus unse­rer Sicht wich­ti­ge Wer­te und Hal­tun­gen, in dem Wis­sen, dass dies eine sub­jek­ti­ve und unvoll­stän­di­ge Auf­zäh­lung ist. Mit Rück­sicht auf den Umfang die­ses Bei­tra­ges benen­nen wird die­se auch nur kurz, statt sie aus­führ­lich zu beschrei­ben.

Das Sys­tem ändern, nicht die Men­schen.

Eine sys­te­misch-kon­struk­ti­vis­ti­sche Hal­tung bedeu­tet, jeder Mensch han­delt aus sei­ner Sicht im jewei­li­gen Augen­blick und Kon­text sinn­voll. Men­schen sind sozia­le und nur gemein­schaft­lich über­le­bens­fä­hi­ge Wesen, wes­we­gen wir ganz natür­lich danach stre­ben, uns in Gemein­schaf­ten zu inte­grie­ren, wert­vol­le Bei­trä­ge für die Gemein­schaft zu erbrin­gen und dafür Aner­ken­nung zu erfah­ren.

Gleich­zei­tig sind Men­schen kom­ple­xe Wesen mit unter­schied­lichs­ten Bedürf­nis­sen, Emo­tio­nen, Wer­ten, selek­tie­ren­der Wahr­neh­mung und einer indi­vi­du­el­len Rea­li­täts­kon­struk­ti­on, wes­we­gen sich unser Ver­hal­ten von außen nicht zuver­läs­sig deu­ten, vor­her­sa­gen oder steu­ern lässt. Die Aner­ken­nung der Inte­gri­tät der Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der gehört zum Grund­prin­zip agi­ler Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung: Anstatt das Ver­hal­ten von Men­schen ziel­ge­rich­tet anpas­sen zu wol­len, schaf­fen wir neue Kom­mu­ni­ka­ti­ons­prak­ti­ken, ‑pro­zes­se und ‑struk­tu­ren, die es den Men­schen ein­fa­cher ermög­li­chen, Eigen- und Fremd­bild abglei­chen zu kön­nen und neue Hand­lungs­wei­sen zu erpro­ben, um sich wei­ter­ent­wi­ckeln zu kön­nen.

Füh­rung von außen nach innen

Um die Anpas­sungs­fä­hig­keit einer Orga­ni­sa­ti­on an die Umwelt zu gewähr­leis­ten, benö­tigt sie eine mög­lichst direk­te Ver­bin­dung und Reso­nanz zu die­ser, vor allem zum Markt. Die agi­le Orga­ni­sa­ti­on wird des­we­gen von außen nach innen geführt. An der Peri­phe­rie, also an der Gren­ze zum Markt, wird dabei die direk­te Wert­schöp­fung ver­or­tet. Kei­ne Zen­tra­le, son­dern die Ein­hei­ten der Peri­phe­rie ent­schei­den über ihre Wert­schöp­fung und alles, was damit zusam­men­hängt (Pro­duk­te, Prei­se, Geschäfts­mo­del­le, Stra­te­gien, Lie­fe­ran­ten, inter­ne Zulie­fer­leis­tun­gen, eige­nes Per­so­nal etc.).

Lösungs­ori­en­tier­tes Vor­ge­hen

Fol­gen­de gän­gi­ge sys­te­mi­sche Prin­zi­pi­en lei­ten uns:

  • Wir len­ken unse­re Auf­merk­sam­keit so viel wie mög­lich auf Lösun­gen, Mög­lich­kei­ten und Gele­gen­hei­ten und so wenig wie nötig auf Pro­ble­me, Defi­zi­te oder Män­gel.
  • Wir fokus­sie­ren auf Unter­stüt­zer statt auf Wider­stän­de und Vor­be­hal­te.
  • Wir ver­su­chen eher neue Ver­hal­tens­wei­sen zu ermög­li­chen, als bestehen­de zu ver­hin­dern.
  • Wir pro­bie­ren ein­fach in einem über­schau­ba­ren Rah­men etwas aus, statt zu spe­ku­lie­ren oder uns ver­meint­lich abzu­si­chern, wel­che Wir­kung oder wel­chen Nut­zen unse­re Ent­schei­dun­gen und Hand­lun­gen haben wer­den.
  • Wir wür­di­gen das was ist und wie es dazu gekom­men ist. Wir ver­su­chen wert­schät­zend die Zweck­mä­ßig­keit bestehen­der Wid­rig­kei­ten zu ver­ste­hen, statt sie nur als Last zu betrach­ten.
  • Wir stre­ben nach viel­fäl­ti­gen Per­spek­ti­ven, statt zu ver­all­ge­mei­nern.
  • Wir ver­trau­en den Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­dern mit einer gewis­sen Gelas­sen­heit.

Inte­gra­les Wer­te­sys­tem: hin zu statt weg von

Inte­gra­le Model­le wie bei­spiels­wei­se Spi­ral Dyna­mics beschrei­ben und unter­schei­den bestimm­te Wer­te­sys­te­me. Die­se Wer­te­sys­te­me zei­gen eine lang­fris­ti­ge Ent­wick­lungs­ten­denz hin zu einer stän­dig wach­sen­den Kom­ple­xi­tät und mehr Ver­bun­den­heit. In allen Wer­te­sys­te­men geht es um die Her­stel­lung von Sicher­heit und um das Über­le­ben der Indi­vi­du­en und der Gemein­schaf­ten.

Wäh­rend die Wer­te­sys­te­me der ers­ten Ord­nungs­ebe­ne in Spi­ral Dyna­mics (Beige bis Grün) von der Über­win­dung von Man­gel und einer Weg-von-Bewe­gung geprägt sind, sind die danach fol­gen­den Wer­te­sys­te­me Gelb und Tür­kis (2. Ord­nungs­ebe­ne) durch Fül­le und Reich­tum und einer Hin-zu-Bewe­gung cha­rak­te­ri­siert.

Für den Kon­text agi­ler Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung hal­ten wir die Wer­te­sys­te­me der zwei­ten Ord­nungs­ebe­ne für bedeut­sam. Unser Modell kol­le­gia­ler Füh­rung basiert auf inte­gra­len Wer­te­sys­te­men mit einer Hin-zu-Bewe­gung. Die Anfor­de­run­gen an die Anpas­sungs­fä­hig­keit in einer kom­ple­xen und dyna­mi­schen Umwelt sind unse­res Erach­tens mit einem inte­gra­len Wer­te­sys­tem ein­fa­cher zu erfül­len.

Auf der zwei­ten Ord­nungs­ebe­ne geht es auch um das Über­le­ben und die Ent­wick­lung des Lebens, von Öko­sys­te­men und des Pla­ne­ten an sich, also um die Mensch­heit, Tie­re und Pflan­zen. Im Kon­text von Orga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­men sind somit auch die Wech­sel­wir­kun­gen und die Ver­bun­den­heit der sozia­len Sys­te­me mit ihrer Umge­bung rele­vant. Nur durch neue Denk­struk­tu­ren und Her­an­ge­hens­wei­sen wer­den wir hier rei­fe trans­kon­tex­tu­el­le Ent­schei­dun­gen tref­fen kön­nen. Wel­chen Nut­zen erzeugt eine Orga­ni­sa­ti­on für die Gesell­schaft? Wel­chen Bei­trag leis­tet sie für die Ent­wick­lung der Gesell­schaft und des Pla­ne­ten? Wie gehen wir mit Res­sour­cen um?

Der höhe­re evo­lu­tio­nä­rer Sinn der gel­ben Ebe­ne von Spi­ral Dyna­mics ist auch durch die aktu­el­len Tech­no­lo­gien bedeut­sa­mer gewor­den: Wir haben auf Basis des Inter­nets ein glo­ba­les Sys­tem und eine noch nie dage­we­se­ne All-Ver­bun­den­heit erschaf­fen. Gerä­te, Lebe­we­sen, Orga­ni­sa­tio­nen und Gesell­schaf­ten aller Art sind in viel­fäl­tigs­ter Wei­se wech­sel­wir­kend mit­ein­an­der ver­bun­den. Wir haben damit eine völ­lig neue Dimen­si­on von Kom­ple­xi­tät und Dyna­mik erreicht, mit der auch Fra­gen der Ver­ant­wor­tung, des Gemein­wohls und Wech­sel­wir­kun­gen pla­ne­ta­ren Aus­ma­ßes ins Zen­trum der Auf­merk­sam­keit gera­ten. Es zieht uns regel­recht ins Gel­be.

Mit die­sem Sog sind die auf Man­gel­über­win­dung aus­ge­rich­te­ten Wer­te­sys­te­me über­for­dert. Wir sehen die agi­le Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung als Teil eines Wer­te­sys­tems zwei­ter Ord­nung, mit dem wir die vor­han­de­nen Res­sour­cen benut­zen, um eine inte­gra­le­re Zukunft zu kre­ieren. Des­we­gen ist die Klä­rung des Wozu, Wohin und des höhe­ren evo­lu­tio­nä­ren Sinns für uns ein obli­ga­to­ri­sches Ele­ment.

Aus­blick

Im nächs­ten Blog­bei­trag die­ser Serie geht es um das The­ma klein­schrit­ti­ges erpro­ben­des Her­an­tas­ten.

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