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Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen
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Bernd Oestereich Claudia Schröder

Claudia Schröder und Bernd Oestereich verstehen sich als Unternehmerinnen und Pionierinnen für kollegial geführte Organisationen, die nach Erfahrungen in eigenen Unternehmen viele andere Unternehmerinnen und Unternehmer mit ihrem Wissen inspirieren konnten.
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Blog­se­rie Bau­stei­ne agi­ler OE (Teil 5): Struk­tur- und Pro­zess­si­cher­heit

Im fünf­ten und letz­ten Teil die­ser Blog­se­rie geht es um die inne­re und äuße­re Sicher­heit in den Pro­zes­sen, Struk­tu­ren und Rah­men­be­din­gun­gen der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on. Unsi­cher­hei­ten in die­sen Berei­chen erhö­hen die Wahr­schein­lich­keit für Miss­ver­ständ­nis­se und Kon­flik­te oder füh­ren eine Orga­ni­sa­ti­on mehr in eine über­for­dern­de Selbst­über­las­sung statt in eine Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on.

Da unser Ansatz der kol­le­gi­al geführ­ten agi­len Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung nicht dar­auf basiert, ein bestehen­des Füh­rungs­sys­tem schlag­ar­tig kom­plett durch ein neu­es zu erset­zen, ist die Fra­ge­stel­lung der Koexis­tenz und Abgren­zung ver­schie­de­ner Füh­rungs­sys­te­me rele­vant. Wir unter­schei­den dabei:

  • Den jeweils eige­nen Füh­rungs­rah­men: Was ist selbst gestalt­bar und was ist vor­ge­ge­ben?
  • Die Koope­ra­ti­ons­be­zie­hun­gen zu Berei­chen, die nach ande­ren Füh­rungs­prin­zi­pi­en orga­ni­siert sind.

Jedes Füh­rungs­sys­tem ist in einen defi­nier­ten Rah­men ein­ge­bet­tet bzw. ein­zu­bet­ten. Der aller­obers­te Rah­men ist durch die Gesell­schaf­te­rin­nen (Inha­be­rin­nen) vor­ge­ge­ben und in der Sat­zung der Gesell­schaft und den Geschäfts­füh­rungs­ver­trä­gen gere­gelt. Bei­spiels­wei­se, wel­che Geschäf­te durch die Gesell­schaf­ter­ver­samm­lung zustim­mungs­pflich­tig sind. Dar­un­ter folgt dann die wei­te­re, meis­tens mehr­stu­fi­ge, hier­ar­chi­sche Unter­glie­de­rung in Ver­ant­wor­tungs­be­rei­che.

Für die kol­le­gia­le Füh­rung defi­nie­ren wir die Rah­men­be­din­gun­gen in der Form einer Dele­ga­ti­ons­ma­trix, die beschreibt, wel­che Zustän­dig­keits­be­rei­che und Füh­rungs­aspek­te kol­le­gia­le gestalt­bar sind, als auch, ob und wie weit die­se schon von der kol­le­gia­len Füh­rung adap­tiert wur­den. Dies war The­ma im letz­ten Teil die­ser Blog­se­rie.

Jeder Füh­rungs­be­reich muss dar­über hin­aus mit Berei­chen koope­rie­ren kön­nen, die nach ande­ren Prin­zi­pi­en und Mus­tern orga­ni­siert sind wie bspw. Lini­en­or­ga­ni­sa­ti­on, Pro­jekt­orga­ni­sa­ti­on, etc. Die Matrix­or­ga­ni­sa­ti­on ist dabei das bekann­tes­te Bei­spiel, wie ver­schie­de­ne Füh­rungs­sys­te­me gekop­pelt wer­den. Meis­tens exis­tiert hier eine dis­zi­pli­na­ri­sche Füh­rung durch Vor­ge­setz­te in einer Lini­en­or­ga­ni­sa­ti­on ortho­go­nal (recht­wink­lig) zu einer inhalt­li­chen Füh­rung in einer Pro­jekt­orga­ni­sa­ti­on durch Pro­jekt­lei­te­rin­nen o.ä.

Die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Berei­chen, die nach unter­schied­li­chen Prin­zi­pi­en geführt wer­den und nach unter­schied­li­chen Mus­tern struk­tu­riert wer­den, ist in der Regel kein beson­de­res Pro­blem, solan­ge die Ver­ant­wor­tungs­be­rei­che halb­wegs ein­deu­tig und bekannt sind, nicht wider­sprüch­lich agie­ren (was in vie­len Matrix­or­ga­ni­sa­tio­nen aber lei­der struk­tu­rell pro­vo­ziert wird) und Ansprech­part­ner, d.h. expli­zi­te Schnitt­stel­len­ver­ant­wort­li­che, benannt sind. Inso­fern fin­det auch die Koope­ra­ti­on zwi­schen Mit­glie­dern eines kol­le­gi­al geführ­ten Berei­ches mit Mit­glie­dern einer Lini­en­or­ga­ni­sa­ti­on in bekann­ter Wei­se statt.

Kon­text­mar­kie­rung

Die Koexis­tenz ver­schie­de­ner Füh­rungs- und Orga­ni­sa­ti­ons­sys­te­me funk­tio­niert umso bes­ser, je kla­rer allen Betei­lig­ten ist, in wel­chem Kon­text sie sich mit wel­chem Anlie­gen gera­de befin­den: Wo gel­ten wel­che Regeln und Prin­zi­pi­en?

So wie die glei­chen Men­schen in ver­schie­de­nen Kon­tex­ten unter­schied­li­ches Ver­hal­ten zei­gen, bei­spiels­wei­se in einem Fuß­ball­sta­di­on ganz anders als in einem Thea­ter­haus, so kön­nen auch in Orga­ni­sa­tio­nen ganz unter­schied­li­che Ver­hal­tens­wei­sen und damit Kul­tu­ren in den ver­schie­de­nen Sub­sys­te­men und Kon­tex­ten sicht­bar wer­den. Das Ver­hal­ten von Men­schen ist weni­ger von der Per­sön­lich­keit, son­dern maß­geb­lich vom Kon­text abhän­gig.

Die Umstel­lung von einer Lini­en­or­ga­ni­sa­ti­on zu einer kol­le­gia­len Orga­ni­sa­ti­on kann lang­sam und schritt­wei­se erfol­gen und somit zu einer zeit­wei­sen oder dau­er­haf­ten Koexis­tenz der bei­den Sys­te­me wer­den. In die­sem Fall ist es sehr wich­tig, dass die Kol­le­gin­nen den jeweils gül­ti­gen Kon­text sicher unter­schei­den kön­nen.

Kla­re inne­re Struk­tur- und Pro­zess­vor­ga­ben zum Start

Egal, wel­chen Ent­wick­lungs­stand eine Orga­ni­sa­ti­on hat – mit dem Modell des klein­schrit­ti­gen erpro­ben­den Her­an­tas­tens ist sie in der Lage, sich sys­te­ma­tisch wei­ter zu ent­wi­ckeln, zu ler­nen und zu ver­bes­sern. Aber wie kommt eine Orga­ni­sa­ti­on über­haupt dazu, die­ses Modell in Betrieb zu neh­men und sei­ne Anwen­dung zu begin­nen?

Die­ses Hen­ne-Ei-Pro­blem lösen wir dadurch, dass wir als Bera­te­rin­nen oder Initia­to­rin­nen ganz kon­kre­te Start­prak­ti­ken vor­schla­gen. Ein der­zeit übli­cher Vor­schlag ist der Füh­rungs­mo­ni­tor, wie wir ihn in unse­rem Buch aus­führ­li­cher beschrei­ben. Dane­ben gibt es zahl­rei­che ande­re mög­li­che Start­prak­ti­ken. Viel wich­ti­ger als die Fra­ge, wie gut der Start­vor­schlag ist, ist jedoch die Tat­sa­che, dass über­haupt ein kon­kre­ter Vor­schlag exis­tiert. Ande­ren­falls wür­de die Orga­ni­sa­ti­on in ein Vaku­um gera­ten. Die Mög­lich­keit zur Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on wür­de in die Selbst­über­las­sung mün­den. Die Kol­le­gin­nen wären heil­los über­for­dert, da sie immer noch nicht wüss­ten, was sie tun soll­ten, um sich selbst zu orga­ni­sie­ren. Die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on soll­te mit Orga­ni­sa­ti­on begin­nen, bevor das Selbst domi­niert.

Um unnö­ti­ge grup­pen­dy­na­mi­sche Pro­zes­se zu ver­mei­den, beginnt die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on also mit einem Akt der Fremd­or­ga­ni­sa­ti­on. Das mag auf den ers­ten Blick para­dox klin­gen, ent­schei­dend ist jedoch, dass die (fremd) vor­ge­schla­ge­nen Prak­ti­ken eine Lern­schlei­fe und damit die Anpas­sung auch der initia­len vor­ge­schla­ge­nen Prak­ti­ken beinhal­ten.

Vor­ab-Schu­lun­gen?

Eine Alter­na­ti­ve wäre, die Kol­le­gin­nen der betrof­fe­nen Orga­ni­sa­ti­on erst­mal zu schu­len und sie zu befä­hi­gen, selbst kom­pe­tent Vor­schlä­ge zu ent­wi­ckeln. Die­ser Weg ist jedoch erheb­lich auf­wän­di­ger, er kos­tet mehr Zeit, Geld und Ner­ven, und wird den­noch kaum ein ver­gleich­ba­res Ergeb­nis brin­gen.

Eine kon­ti­nu­ier­li­che Lern­be­glei­tung, mit der die betei­lig­ten Kol­le­gen ganz grund­le­gen­de kom­mu­ni­ka­ti­ve Grund­fer­tig­kei­ten auf­bau­en kön­nen, hal­ten wir hin­ge­gen zweck­mä­ßig.

Kla­re Start­si­tua­tio­nen auch im Klei­nen

So wie wir uns um eine gro­ße Pro­zess- und Struk­tur­si­cher­heit bei der Ein­füh­rung agi­ler Orga­ni­sa­ti­ons- und Füh­rungs­prin­zi­pi­en bemü­hen, so ver­su­chen wir dies eben­so im Klei­nen, bei­spiels­wei­se, wenn neue Krei­se oder Rol­len kon­sti­tu­iert wer­den. Jeder Kreis braucht einen Namen, einen Zweck, eine ein­deu­ti­ge Mit­glie­der­lis­te (Zuge­hö­rig­keit), eine Min­dest­men­ge von Rol­len zur eige­nen Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und eine Min­dest­men­ge von Arbeits­tref­fen bzw. Pro­zes­sen, um die grund­le­gen­de Arbeits­fä­hig­keit des Krei­ses zu gewähr­leis­ten.

Ende

Damit sind wir am Ende unse­rer Blog­se­rie, mit der wir die aus unse­rer Sicht wich­tigs­ten Bau­stei­ne einer kol­le­gia­le geführ­ten agi­len Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung beschrei­ben woll­ten.

Wei­te­re Mate­ria­li­en und Ange­bo­te zum The­ma fin­den Sie unter https://kollegiale-fuehrung.de/

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