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Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen
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Bernd Oestereich

Impulsgeber für kollegial geführte Organi­sationen mit Erfahrung als Unternehmer seit 1998. Sprecher und Autor inter­national verlegter Bücher.
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Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on in Kri­sen­zei­ten

Kürz­lich wur­de ich gefragt, “wie sich die Ent­wick­lung der kol­le­gia­len Füh­rung auf­grund der Pan­de­mie ver­än­dert”. In die­sem Blog­bei­trag ver­su­che ich eine Ant­wort hier­zu. 

„In der Kri­se beweist sich der Cha­rak­ter“, wuss­te schon Hel­mut Schmidt, und wie dyna­mikro­bust und agil eine Orga­ni­sa­ti­on ist, lässt sich in Kri­sen­zei­ten ein­fa­cher beob­ach­ten, als bei eitel Son­nen­schein. Wobei ver­mut­lich unter­schie­den wer­den soll­te, ob eine Orga­ni­sa­ti­on eine agi­le Ent­wick­lung gera­de erst begon­nen hat, mit­ten drin steckt oder die­se schon eta­bliert hat. Jede Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung for­dert erst ein­mal zusätz­li­che Res­sour­cen und stellt eine zusätz­li­che Belas­tung dar. Des­we­gen möch­te ich zu der Fra­ge eher eta­blier­te agi­le Orga­ni­sa­tio­nen in den Blick neh­men als sol­che, die sich gera­de erst auf­ge­macht haben. 

Mir lie­gen kei­ne sta­tis­tisch rele­van­ten und belast­ba­ren Zah­len vor, ich habe auch gar nicht danach gesucht und ich möch­te hier auch kei­ne Namen nen­nen. Aber ich kann ganz sub­jek­tiv und eher anek­do­tisch berich­ten. In den letz­ten 10 Jah­ren habe ich eine Rei­he von agi­len Orga­ni­sa­tio­nen ken­nen­ge­lernt: durch viel­fäl­ti­ge per­sön­li­che Kon­tak­te zu vor allem inha­ber­ge­führ­ten Unter­neh­men, als Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glied und auch in eige­nen Unter­neh­men oder als pro­fes­sio­nel­ler exter­ner Beglei­ter. 

Mir fällt dabei nur ein Unter­neh­men ein, das sich, wohl vor allem durch den Ver­such, eine holok­ra­ti­sche Orga­ni­sa­ti­ons­form ein­zu­füh­ren, selbst zer­legt hat. Ein ande­res Unter­neh­men geriet auf Grund der Auf­trags­si­tua­ti­on in wirt­schaft­li­che Pro­ble­me, ohne dass sich für mich jedoch ein direk­ter Zusam­men­hang zur agi­len Orga­ni­sa­ti­ons­form erschlos­sen hat. Bei­des pas­sier­te deut­lich vor der Coro­na-Pan­de­mie. 

Alle ande­ren mir bekann­ten agi­len Orga­ni­sa­tio­nen exis­tie­ren wei­ter­hin in ihrer gewohn­ten Grö­ße und kom­men augen­schein­lich gut durch die Pan­de­mie, auch sol­che, die bran­chen­ty­pisch betrof­fen sind. Wenn Unter­neh­men vie­le Jah­re lang erfolg­reich agil orga­ni­siert arbei­ten, ist das zumin­dest ein Nach­weis, dass dies grund­sätz­lich geht. Umso inter­es­san­ter die Fra­ge nach dem Ver­hal­ten in der aktu­el­len Kri­se. 

Mein Ein­druck ist: agi­le Orga­ni­sa­tio­nen kom­men bis­lang gut durch die Kri­se und tref­fen ihre Ent­schei­dun­gen min­des­tens eben­so schnell und gut wie pyra­mi­den­för­mig geführ­te. Sie sind bei­spiels­wei­se in der Lage, auch sozi­al und wirt­schaft­lich schwie­ri­ge Ent­schei­dun­gen, wie bei­spiels­wei­se zur Kurz­ar­beit, in einer eben­falls sozi­al und wirt­schaft­lich ange­mes­se­nen Wei­se zu tref­fen.  

Natür­lich gibt es Aus­nah­men, wie bei­spiels­wei­se das in der Schweiz ansäs­si­ge Rei­se­un­ter­neh­men, in dem der Chef (lei­der mit Ver­weis auf unser Buch) die Ent­schei­dung über Ent­las­sun­gen an die Betrof­fe­nen selbst dele­giert hat. Ich habe durch­aus kol­le­gi­al ent­schie­de­ne Ent­las­sun­gen schon beob­ach­tet – aber in einer eta­blier­ten und rei­fen agi­len Orga­ni­sa­ti­on, nicht zum Start in die agi­le Trans­for­ma­ti­on. 

Eine mit Ent­las­sun­gen ver­bun­de­ne Kri­se kann durch­aus ein pas­sen­der Anlass und Zeit­punkt sein, ein Unter­neh­men agi­ler auf­zu­stel­len. Bei­spiels­wei­se gibt es mehr rele­van­te und über­ge­ord­ne­te Ent­schei­dungs­be­dar­fe, zu denen sich vie­le Betei­lig­te eine brei­te­re und trans­pa­ren­te­re Kom­mu­ni­ka­ti­on und Rei­fung von Ent­schei­dun­gen wün­schen. Auch erge­ben sich in Unter­neh­men bei kurz­fris­tig gerin­ge­rer Aus­las­tung und ansons­ten wirt­schaft­lich soli­der Aus­gangs­si­tua­ti­on oft mehr Frei­räu­me, um Neu­es aus­zu­pro­bie­ren. Nur soll­te dann eben auch die mit­tel- und lang­fris­ti­ge Per­spek­ti­ve bei der Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung im Fokus ste­hen und nicht kurz­fris­ti­ge Per­so­nal­ent­schei­dun­gen. 

Mei­ne (wie gesagt selek­ti­ven und sta­tis­tisch nicht belast­ba­ren) Beob­ach­tun­gen brin­gen mich ins­ge­samt zu der Mei­nung, dass kol­le­gi­al-selbst­or­ga­ni­sier­te Unter­neh­men nicht nur eben­so gut durch die Pan­de­mie kom­men wie her­kömm­lich orga­ni­sier­te, son­dern sich bei ihnen sogar die für eine agi­le Orga­ni­sa­ti­on erwart­ba­re gute Anpas­sungs­fä­hig­keit (Agi­li­tät) zeigt. 

Nichts­des­to­trotz wür­den mich aber eure Beob­ach­tun­gen inter­es­sie­ren: Was habt ihr bei euren Kun­den oder in euren Orga­ni­sa­tio­nen bis­lang zu die­ser Fra­ge beob­ach­ten kön­nen?  

Schickt uns Eure Kom­men­ta­re.

Der Bei­trag erschien auch auf Lin­ke­dIn. Dort befin­den sich auch Kom­men­ta­re.

 

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