Ausgehend von einem Gespräch mit Martin Permantier (Autor des Buches “Haltung entscheidet”) möchte ich in diesem Blogbeitrag ein paar Gedanken zu der Frage teilen, ob bestimmte Haltungen für eine agile Organisationsentwicklung notwendig sind und wie diese dann entstehen können.
Im Juli 2021 hat Martin Permantier im Rahmen seines Podcasts Ich-Wir-Alle ein Gespräch mit Claudia Schröder und mir geführt, das jetzt erschienen ist: Episode 99 – Kollegiale Führung und agile Organisationen (Dauer 67 Minuten).
Wir plaudern darüber, wie wir zu dem Thema gekommen sind, welche Einsichten wir auf dem Weg gewonnen haben und welche Perspektiven wir heute dazu haben. Mich hatte das Gespräch auch interessiert, weil wir (Martin einerseits, Claudia und ich andererseits) uns dem Thema Haltung aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Martin hat das Individuum im Fokus, wir die Organisation. Weil wir diesen Unterschied im Podcast nur streifen, möchte ich die Frage hier weiter vertiefen.
Die Bedeutung von Haltung im Modell der Kollegialen Führung
Unser Ansatz der agilen Organisationsentwicklung basiert auf der Entwicklung und Gestaltung von Rahmenbedingungen (vor allem Prozesse und Strukturen) in Organisationen, die den Organisationsmitgliedern dann andere Verhaltensweisen erlauben, ohne die Menschen aber zielgerichtet oder direkt in irgendeiner Weise ändern zu wollen. Wir sehen Haltung als Ergebnis, nicht als Voraussetzung für eine agile Organisationsentwicklung.
Verkürzt gesagt: Arbeit am System, nicht am Menschen.
Nun ist eine Transformation hin zu einer agileren Organisation im Kern aber auch eine Entwicklung der Denkstrukturen, Überzeugungen und damit der Haltungen der Beteiligten. Hätten die Organisationsmitglieder diese schon verinnerlicht und könnten sie diese im Kontext ihrer Organisation auch zeigen und praktizieren, bräuchte die Organisation eine solche Transformation möglicherweise gar nicht mehr.
Die Grundidee der kollegialen Führung, den Hebel am System anzusetzen, ermöglicht uns, die Voraussetzungen an die Organisationskultur und Haltungen der Mitarbeitenden gering zu halten.
Was ist Haltung?
Eine Haltung ist für mich ein grundlegender, aus Werten, Einsichten, Denk- und Gefühlsmustern bestehender, innerer Haltepunkt zu einer Angelegenheit, der mein Verhalten leitet. Eine Haltung ist somit nicht allein eine Überzeugung oder Einstellung, sondern deren Sichtbarkeit und Beobachtbarkeit im täglichen Handeln und Agieren.
Haltung ist für mich auch vom Kontext abhängig, denn unser Verhalten basiert immer auf den Wechselwirkungen und Abhängigkeiten von unserer jeweiligen Umgebung. Bestimmte Umgebungen machen es uns leichter oder schwerer, unsere Haltung auszudrücken. Haltung ist also nicht allein eine Eigenschaft eines Menschen, sondern eines Menschen in einem Kontext.
Außerdem werden Haltungen kultiviert. Sie entwickeln sich im praktischen Tun, d.h. erfordern Ausprobieren, Wiederholung, Übung und somit auch Zeit. Vorhandene Gewohnheiten und Routinen werden schrittweise durch neue ersetzt inklusive anfänglicher regelmäßiger Rückfälle in alte Handlungsmuster. Das heißt aber auch: Haltung lässt sich lernen. Eine gute systemische Coaching-Ausbildung ist bspw. auch immer eine Haltungsschule mit der dafür notwendigen Selbstreflexion.
Wie entwickeln sich Haltungen in Organisationen?
Für die Organisationsentwicklung sehe ich daher zwei Hebel:
- Am System arbeiten: Wir können mit Hilfe neuer Strukturen und Prozesse in einer Organisation den Kontext der Organisationsmitglieder ändern und ihnen damit andere Verhaltensweisen ermöglichen und wahrscheinlicher machen.
- Übungs- und Reflexionsräume betreiben: Wir können den Organisationsmitgliedern gezielt Übungs- und Reflexionsmöglichkeiten für neue Verhaltensweisen und gewollte Werte ermöglichen. Und zwar vorzugsweise im echten Arbeitskontext und nicht in Labor- oder Schulungsübungen (anderen Kontexten).
Beides passt gut zu einem Grundprinzip Kollegialer Führung, dem schrittweisen und empirisch rückgekoppelten Vorgehen, dem erprobenden Herantasten nach dem Sogprinzip. Zum einen kann niemand genau sagen, welche Änderungen am System nützliche Veränderungen bewirken. Wir bilden nur Thesen, probieren dann etwas aus, beobachten die Wirkung und so weiter. Zum anderen überlassen wir dies den Betroffenen, die probieren etwas aus, fühlen und erfahren, was nun anders läuft, bilden sich eine Meinung und entscheiden dann letztendlich über den Nutzen und die Fortführung.
Als Organisationsbegleiterin kreieren und halten wir nur die Räume dafür, d.h. wir sorgen auf einer Metaebene dafür, dass systematisch ausprobiert und reflektiert wird. Im relevanten realen Arbeitskontext, weniger in Schulungssituationen. Und dafür ist es natürlich hilfreich und wichtig, dass wir als Organisationsbegleiterinnen selbst die Haltungen verinnerlicht haben und praktizieren, von denen wir uns wünschen, dass sie sich in der Organisation entwickeln.
So sehr wir also bestimmte Haltungen bei den Organisationsmitgliedern nicht zur Voraussetzung für den Prozess machen, so klar und sicher sollten wir selbst diese Haltungen zeigen und demonstrieren können. Jeder OE-Prozess wird uns Gelegenheiten zu solchen kulturbildenden Momenten geben – wir wissen bloß nie genau wo und wann.
Für uns als Organisationsbegleiterinnen finde ich es daher sehr hilfreich, wenn wir eigene Übungsplätze haben, um unsere Haltung zu entwickeln. Beispielsweise in dem wir selbst auch Mitglied einer agilen Organisation sind, was beispielsweise auch die Mitarbeit in der agilen Gilde attraktiv macht.
Mehr zum Thema Haltung steht in unserem Buch “Agile Organisationsentwicklung” ab Seite 16 sowie im Buch “Haltung entscheidet” von Martin Permantier. Mehr zu kulturbildenden Momenten ab Seite 190 in unserem Buch.
Bernd Oestereich
(Titelfoto: Shutterstock 386703292 von ra2 studio)