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Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen
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Bernd Oestereich

Impulsgeber für kollegial geführte Organi­sationen mit Erfahrung als Unternehmer seit 1998. Sprecher und Autor inter­national verlegter Bücher.
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Wie ent­wi­ckelt sich Hal­tung?

Aus­ge­hend von einem Gespräch mit Mar­tin Per­man­tier (Autor des Buches “Hal­tung ent­schei­det”) möch­te ich in die­sem Blog­bei­trag ein paar Gedan­ken zu der Fra­ge tei­len, ob bestimm­te Hal­tun­gen für eine agi­le Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung not­wen­dig sind und wie die­se dann ent­ste­hen kön­nen.

Im Juli 2021 hat Mar­tin Per­man­tier im Rah­men sei­nes Pod­casts Ich-Wir-Alle ein Gespräch mit Clau­dia Schrö­der und mir geführt, das jetzt erschie­nen ist: Epi­so­de 99 – Kol­le­gia­le Füh­rung und agi­le Orga­ni­sa­tio­nen (Dau­er 67 Minu­ten).

Wir plau­dern dar­über, wie wir zu dem The­ma gekom­men sind, wel­che Ein­sich­ten wir auf dem Weg gewon­nen haben und wel­che Per­spek­ti­ven wir heu­te dazu haben. Mich hat­te das Gespräch auch inter­es­siert, weil wir (Mar­tin einer­seits, Clau­dia und ich ande­rer­seits) uns dem The­ma Hal­tung aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven nähern. Mar­tin hat das Indi­vi­du­um im Fokus, wir die Orga­ni­sa­ti­on. Weil wir die­sen Unter­schied im Pod­cast nur strei­fen, möch­te ich die Fra­ge hier wei­ter ver­tie­fen.

Die Bedeu­tung von Hal­tung im Modell der Kol­le­gia­len Füh­rung

Unser Ansatz der agi­len Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung basiert auf der Ent­wick­lung und Gestal­tung von Rah­men­be­din­gun­gen (vor allem Pro­zes­se und Struk­tu­ren) in Orga­ni­sa­tio­nen, die den Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­dern dann ande­re Ver­hal­tens­wei­sen erlau­ben, ohne die Men­schen aber ziel­ge­rich­tet oder direkt in irgend­ei­ner Wei­se ändern zu wol­len. Wir sehen Hal­tung als Ergeb­nis, nicht als Vor­aus­set­zung für eine agi­le Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung.

Ver­kürzt gesagt: Arbeit am Sys­tem, nicht am Men­schen.

Nun ist eine Trans­for­ma­ti­on hin zu einer agi­le­ren Orga­ni­sa­ti­on im Kern aber auch eine Ent­wick­lung der Denk­struk­tu­ren, Über­zeu­gun­gen und damit der Hal­tun­gen der Betei­lig­ten. Hät­ten die Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der die­se schon ver­in­ner­licht und könn­ten sie die­se im Kon­text ihrer Orga­ni­sa­ti­on auch zei­gen und prak­ti­zie­ren, bräuch­te die Orga­ni­sa­ti­on eine sol­che Trans­for­ma­ti­on mög­li­cher­wei­se gar nicht mehr.

Die Grund­idee der kol­le­gia­len Füh­rung, den Hebel am Sys­tem anzu­set­zen, ermög­licht uns, die Vor­aus­set­zun­gen an die Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur und Hal­tun­gen der Mit­ar­bei­ten­den gering zu hal­ten.

Was ist Hal­tung?

Eine Hal­tung ist für mich ein grund­le­gen­der, aus Wer­ten, Ein­sich­ten, Denk- und Gefühls­mus­tern bestehen­der, inne­rer Hal­te­punkt zu einer Ange­le­gen­heit, der mein Ver­hal­ten lei­tet. Eine Hal­tung ist somit nicht allein eine Über­zeu­gung oder Ein­stel­lung, son­dern deren Sicht­bar­keit und Beob­acht­bar­keit im täg­li­chen Han­deln und Agie­ren.

Hal­tung ist für mich auch vom Kon­text abhän­gig, denn unser Ver­hal­ten basiert immer auf den Wech­sel­wir­kun­gen und Abhän­gig­kei­ten von unse­rer jewei­li­gen Umge­bung. Bestimm­te Umge­bun­gen machen es uns leich­ter oder schwe­rer, unse­re Hal­tung aus­zu­drü­cken. Hal­tung ist also nicht allein eine Eigen­schaft eines Men­schen, son­dern eines Men­schen in einem Kon­text.

Außer­dem wer­den Hal­tun­gen kul­ti­viert. Sie ent­wi­ckeln sich im prak­ti­schen Tun, d.h. erfor­dern Aus­pro­bie­ren, Wie­der­ho­lung, Übung und somit auch Zeit. Vor­han­de­ne Gewohn­hei­ten und Rou­ti­nen wer­den schritt­wei­se durch neue ersetzt inklu­si­ve anfäng­li­cher regel­mä­ßi­ger Rück­fäl­le in alte Hand­lungs­mus­ter. Das heißt aber auch: Hal­tung lässt sich ler­nen. Eine gute sys­te­mi­sche Coa­ching-Aus­bil­dung ist bspw. auch immer eine Hal­tungs­schu­le mit der dafür not­wen­di­gen Selbst­re­fle­xi­on.

Wie ent­wi­ckeln sich Hal­tun­gen in Orga­ni­sa­tio­nen?

Für die Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung sehe ich daher zwei Hebel:

  1. Am Sys­tem arbei­ten: Wir kön­nen mit Hil­fe neu­er Struk­tu­ren und Pro­zes­se in einer Orga­ni­sa­ti­on den Kon­text der Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der ändern und ihnen damit ande­re Ver­hal­tens­wei­sen ermög­li­chen und wahr­schein­li­cher machen.
  2. Übungs- und Refle­xi­ons­räu­me betrei­ben: Wir kön­nen den Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­dern gezielt Übungs- und Refle­xi­ons­mög­lich­kei­ten für neue Ver­hal­tens­wei­sen und gewoll­te Wer­te ermög­li­chen. Und zwar vor­zugs­wei­se im ech­ten Arbeits­kon­text und nicht in Labor- oder Schu­lungs­übun­gen (ande­ren Kon­tex­ten).

Bei­des passt gut zu einem Grund­prin­zip Kol­le­gia­ler Füh­rung, dem schritt­wei­sen und empi­risch rück­ge­kop­pel­ten Vor­ge­hen, dem erpro­ben­den Her­an­tas­ten nach dem Sog­prin­zip. Zum einen kann nie­mand genau sagen, wel­che Ände­run­gen am Sys­tem nütz­li­che Ver­än­de­run­gen bewir­ken. Wir bil­den nur The­sen, pro­bie­ren dann etwas aus, beob­ach­ten die Wir­kung und so wei­ter. Zum ande­ren über­las­sen wir dies den Betrof­fe­nen, die pro­bie­ren etwas aus, füh­len und erfah­ren, was nun anders läuft, bil­den sich eine Mei­nung und ent­schei­den dann letzt­end­lich über den Nut­zen und die Fort­füh­rung.

Als Orga­ni­sa­ti­ons­be­glei­te­rin kre­ieren und hal­ten wir nur die Räu­me dafür, d.h. wir sor­gen auf einer Meta­ebe­ne dafür, dass sys­te­ma­tisch aus­pro­biert und reflek­tiert wird. Im rele­van­ten rea­len Arbeits­kon­text, weni­ger in Schu­lungs­si­tua­tio­nen. Und dafür ist es natür­lich hilf­reich und wich­tig, dass wir als Orga­ni­sa­ti­ons­be­glei­te­rin­nen selbst die Hal­tun­gen ver­in­ner­licht haben und prak­ti­zie­ren, von denen wir uns wün­schen, dass sie sich in der Orga­ni­sa­ti­on ent­wi­ckeln.

So sehr wir also bestimm­te Hal­tun­gen bei den Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­dern nicht zur Vor­aus­set­zung für den Pro­zess machen, so klar und sicher soll­ten wir selbst die­se Hal­tun­gen zei­gen und demons­trie­ren kön­nen. Jeder OE-Pro­zess wird uns Gele­gen­hei­ten zu sol­chen kul­tur­bil­den­den Momen­ten geben – wir wis­sen bloß nie genau wo und wann.

Für uns als Orga­ni­sa­ti­ons­be­glei­te­rin­nen fin­de ich es daher sehr hilf­reich, wenn wir eige­ne Übungs­plät­ze haben, um unse­re Hal­tung zu ent­wi­ckeln. Bei­spiels­wei­se in dem wir selbst auch Mit­glied einer agi­len Orga­ni­sa­ti­on sind, was bei­spiels­wei­se auch die Mit­ar­beit in der agi­len Gil­de attrak­tiv macht.

Mehr zum The­ma Hal­tung steht in unse­rem Buch “Agi­le Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung” ab Sei­te 16 sowie im Buch “Hal­tung ent­schei­det” von Mar­tin Per­man­tier. Mehr zu kul­tur­bil­den­den Momen­ten ab Sei­te 190 in unse­rem Buch.

Bernd Oes­te­reich

(Titel­fo­to: Shut­ter­stock 386703292 von ra2 stu­dio)

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